Die Sprache der Normen und ihre Verbindlichkeit

Müssen, dürfen, sollen – oder eben nicht. Wir erklären die Unterschiede in der Normensprache anhand DIN EN 12464-1. Und beantworten gleichzeitig die Frage: Wann ist eine Beleuchtungsanlage „normgerecht“ oder „normgemäß“? Denn allein die Existenz einer Norm verpflichtet noch nicht zu ihrer Anwendung. Nimmt aber etwa ein Vertrag Bezug auf die Norm, kann ihre Anwendung verbindlich sein.

 

DIN 820-2 von Dezember 2022 „Normungsarbeit – Teil 2: Gestaltung von Dokumenten“ definiert auch die Sprache der Norm und gibt Hilfestellung. Um beispielsweise DIN EN 12464-1 korrekt zu nutzen, ist es wichtig, die normativen Elemente von den informativen zu unterscheiden. Hierfür hat DIN 820-2 eine einfache Erklärung: Ein normatives Element beschreibt den Anwendungsbereich (zum Beispeíel einer Norm) oder Festlegungen. Der Anwendungsbereich, hier der DIN EN 12464-1, ist begrenzt auf die Beleuchtung von Arbeitsplätzen und schließt etwa sicherheits- und gesundheitsrelevante Aspekte aus.

Bei den Festlegungen handelt es sich um:

  1. Anforderungen
  2. Empfehlungen
  3. Angaben

Diese drei Bereiche lassen sich leicht durch ihre sprachliche Formulierung unterscheiden:

1. Anforderungen sind „einzuhaltende und objektiv prüfbare Kriterien … von denen keine Abweichung erlaubt ist, wenn Übereinstimmung mit dem Dokument gefordert ist“ (siehe DIN 820-2; 3.3.3). Sie sind zu erkennen an Wörtern wie „muss“ oder „darf nicht“.

Zum Beispiel: „Für die Berechnung und Messung von Mittelwerten und Gleichmäßigkeiten der Beleuchtungsstärke muss die in 5.4 festgelegte Rasterspezifikation verwendet werden“ (siehe DIN EN 12464-1:2021; 5.3.1). Oder: „Im Bereich der Sehaufgabe oder Tätigkeit darf die Gleichmäßigkeit der Beleuchtungsstärke (Uo) die in den Tabellen in 7.3 angegebenen Mindestwerte der Gleichmäßigkeit nicht unterschreiten“ (siehe DIN EN 12464-1:2021; 5.3.6). DIN 820-2 nennt übrigens noch weitere gleichbedeutende Wendungen, die in Ausnahmefällen aus sprachlichen Gründen genutzt werden dürfen, wie etwa „ist erforderlich“.

2. Empfehlungen beschreiben besonders geeignete Möglichkeiten oder Handlungsweisen, ohne nicht genannte Alternativen auszuschließen. Sie sind an Wörtern wie „sollte“ oder „sollte nicht“ zu erkennen.

Zum Beispiel: „Der unmittelbare Umgebungsbereich sollte innerhalb des Gesichtsfeldes als Streifen mit einer Breite von mindestens 0,5 m den Bereich der Sehaufgabe umgeben“ (siehe DIN EN 12464-1:2021; 5.3.4). Oder: „Der Abstand der Rasterpunkte sollte nicht mit dem Abstand der Leuchten übereinstimmen“ (siehe DIN EN 12464-1:2021; 5.4).

3. Angaben können Informationen geben zur Zulässigkeit (im Sinne von „Erlaubnis“) oder Möglichkeit/Vermögen (im Sinne von Auswirkungen beziehungsweise Tauglichkeit). Sie lassen sich durch die Nutzung von „darf“ und „kann“ oder „kann nicht“ erkennen.

Zum Beispiel: „Die Beleuchtungsstärke des unmittelbaren Umgebungsbereichs darf niedriger sein als die Beleuchtungsstärke im Bereich der Sehaufgabe …“ (siehe DIN EN 12464-1:2021; 5.3.4). Oder: „Um eine starke Beeinträchtigung der Gleichmäßigkeit durch Berechnungspunkte in der Nähe der Wand zu vermeiden, kann ein Band neben der Wand von der Berechnung ausgeschlossen werden …“ (siehe DIN EN 12464-1:2021; 5.4).

Neben diesen normativen Elementen finden sich in einer Norm auch informative Elemente. Sie können erläuternden Charakter haben und erleichtern das Verständnis und damit die Anwendbarkeit der Norm. Oder sie vermitteln zusätzliche Hintergrundinformationen oder erläutern den Zusammenhang mit anderen Normen und Empfehlungen.

  • Informative Elemente sind beispielsweise Inhaltverzeichnis, Vorwort, Einleitung, normative Verweise, Literaturverzeichnis und Stichwortverzeichnis.
  • Anhänge können sowohl aus normativen wie aus informativen Elementen bestehen und müssen entsprechend gekennzeichnet werden. In DIN EN 12464-1:2021 sind übrigens sämtliche Anhänge informativ.
  • Anmerkungen im Text sind – in Bezug auf ihre Verbindlichkeit – ähnlich einzustufen wie informative Elemente. Sie liefern zusätzliche Informationen und dienen dem besseren Verständnis. Die Norm muss jedoch auch ohne sie anwendbar sein.

Zurück zur Ausgangsfrage: Wann ist eine Beleuchtungsanlage „normgerecht“ oder „normgemäß“?

Vorausgesetzt, die Beleuchtungsanlage liegt im Anwendungsbereich von DIN EN 12464-1, müssen alle für den Anwendungsfall relevanten Anforderungen erfüllt sein. Sie sind in der Regel an den Verbformen „muss“ oder „darf nicht“ zu erkennen. Alle weiteren Elemente – normative (Empfehlungen und Angaben) wie informative – dienen lediglich dem Verständnis der Norm, ihrer zielgerichteten Anwendung und Kommunikation.

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